Migrationspolitik faktenfrei

 

270 WissenschaftlerInnen haben einen Aufruf verfasst, der zu mehr Sachlichkeit in der Flüchtlingspolitik aufruft und eine Besinnung auf Menschenrechte als wesentliches Parameter der Diskussion fordert.1 Die WissenschaftlerIinnen aus dem Asylrecht und der Fluchtforschung, die seit Jahren die Flüchtlingspolitik untersuchen und kommentieren, betrachten die jüngsten politischen Debatten über Flucht und Asyl als weitestgehend faktenfrei geführt. Zudem werden kurzerhand rechtsstaatliche und menschenrechtliche Minimalstandards für populistische Überschriften geopfert.

 

Man will dem in der Politik thematisierten „Deutschlandpakt“ einen „Menschenrechtspakt“ entgegensetzen. Darin soll hervorgehoben werden, dass es immer noch überwiegend um Schutzsuchende geht, nicht um Arbeitsmigranten, Sozialschmarotzer oder Kriminelle. Die Einhaltung völker- und menschenrechtlicher Normen, zu der sich Deutschland vertraglich und im Rahmen der EU verpflichtet hat, ist für einen Rechtsstaat unverzichtbar. Die deutsche Politik soll sich für ein Ende der menschenrechtswidrigen Pushbacks, der Kriminalisierung von Geflüchteten und ihren UnterstützerInnen sowie für rechtsstaatliche Asylverfahren einsetzen. Und außerdem gegen die Legitimierung rassistischer Forderungen, könnte ohne weiteres noch hinzugefügt werden.

 

Man verweist auf historische Verantwortung und zitiert auch den sog. „Asylkompromiss“ von 1992, wo bereits asylrechtliche Bestimmungen weitreichend eingeschränkt wurden und das kürzlich vom heutigen Bundespräsidenten als Blaupause für einen politischen Handlungsrahmen ins Gespräch gebracht wurde. Damals zumindest wirkte dies gemeinsam mit der medialen Berichterstattung als Brandbeschleuniger für flüchtlingsfeindliche und rassistische Gewalt.

 

Die Erkenntnis, dass die Aufweichung rechtsstaatlicher Grundsätze demokratieschädigend und rechtsstaatsfeindlich wirkt, ist nicht angekommen. Stattdessen zündeln heute Politiker quer durch alle Parteien am Rechtsstaat unter dem Vorwand, ein Migrationsproblem lösen zu wollen, das aus rassistisch motivierten Kreisen künstlich aufgebauscht wird. Die Ausgaben für die Versorgung von Flüchtlingen dürften die öffentlichen Haushalte mit kaum mehr als 1 % von deren Gesamtvolumen von immerhin fast 2.000 Milliarden € belasten.

 

Die Idee z.B., die Versorgung der Asylsuchenden auf Sachleistungen umzustellen, ist ein Beispiel für sinnlose Vorschläge in diesem Zusammenhang. Hintergrund ist die hetzerische Behauptung, die Empfänger von Sozialleistungen würden diese in ihre Heimatländer transferieren, eine Bemühung des hinlänglich bekannten Raubbau-am-Sozialsystem-Narrativs. Verstärkt werden derartige Behauptungen noch von selbsternannten Brandmauerschützern, die sich z.B. über die Bevorzugung von Geflüchteten bei der Zahlbehandlung äußern.

 

Nun hat das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesanstalt für Arbeit (IAB) in umfangreichen Erhebungen festgestellt, dass es keine nennenswerten Überweisungen durch Leistungsempfänger in Heimatländer gebe und fragt zurecht, womit diese denn auch finanziert werden sollen. Auch das Institut für Weltwirtschaft (IfW) äußerte sich kürzlich ähnlich und bezeichnet das Thema der Rücküberweisungen als „absoluten Nebenschauplatz“ (Spiegel Nr. 43, S. 71).

 

Derartige, auf Fakten basierende Aussagen von Institutionen, die irgendwelcher Parteilichkeit völlig unverdächtig sind, finden aber keinen Niederschlag in der politischen Meinungsbildung. Der Diskurs wird weiter polemisch und fern der Realitäten geführt und bleibt faktenlos. Es geht einzig darum, hetzerische und natürlich völlig unbewiesene Behauptungen, die in der allgemeinen, von Verschwörungsmythen zersetzten, Meinungsbildung aber auf fruchtbaren Boden fallen, irgendwelche, und seien es auch noch so absurde, Maßnahmen entgegen zu setzen.

 

Vorläufiger Höhepunkt der Irrungen und Verwirrungen ist der Vorschlag des Landkreistages, Asylbewerber zu gemeinnütziger Arbeit zu verpflichten. Falls die Verpflichtung zu gemeinnütziger Arbeit als eine Drohung gegenüber den Asylbewerbern zu verstehen sein soll, ist dies ein Schlag ins Gesicht aller gemeinnützig tätigen Menschen. Soziale und menschenfreundliche Tätigkeit wird zu einer billigen Drohkulisse und verunglimpft alle ehrenamtlich engagierten Menschen in unserem Lande.

 

Asylbewerber dürfen keiner regulären Arbeit nachgehen, das ist eine rechtliche Maßnahme zur Verhinderung von Arbeitsmigration. Nun muss man die Menschen aber irgendwie versorgen, also beziehen sie Sozialleistungen. Das wiederum entspricht der Mythenbildung von der Flucht in die Sozialsysteme. Der Ausweg aus dieser Duplizität griffiger Verschwörungserzählungen scheint nun zu sein, die Asylbewerber zu gemeinnütziger Arbeit zu verpflichten. Dann sind sie beschäftigt und verdienen sich quasi die Sozialleistungen selbst. Das könnte, so die naive Vorstellung unserer Lokalpolitiker, den rassistisch geprägten, früher gerne besorgt genannten, Bürger beruhigen.

 

Praktisch umsetzbar ist diese Forderung allerdings nicht. Die Asylbewerber, die in der Anerkennungsphase sind, werden seit einiger Zeit in zentralen Aufnahmeeinrichtungen konzentriert, d.h. sie befinden sich nur an wenigen Orten in Deutschland. Der anerkannte Flüchtling hat jedoch eine Beschäftigungserlaubnis, steht also dem Arbeitsmarkt uneingeschränkt zur Verfügung.

 

Die Unternehmen warten dringend auf Personal, in den letzten Wochen hatten wir mehrere Fälle, wo Geduldete Arbeitsangebote erhalten hatten und eine Beschäftigungserlaubnis beantragt haben. Diese wurden seitens der Ausländerbehörde jedoch alle abgelehnt.

 

Die Verpflichtung zu arbeitsdienstähnlichen Leistungen suggeriert beim rechtspopulistischem Klientel doch gerade, dass wir einzelne Menschengruppen menschenunwürdig behandeln können und ihnen rechtsstaatliche Grundrechte vorenthalten dürfen.

 

Ein weiterer Schritt in die Aushöhlung des Rechtsstaats und der Beschädigung der Demokratie. Nach aktueller Stimmungslage und den weitgehend in Unfähigkeit versinkenden regierenden Parteien sieht es so aus, als sei der Rechtsstaat nur durch die Zivilgesellschaft zu verteidigen. Diese positioniert sich, wie am Beispiel des „Menschenrechtspakts“ zu erkennen ist.

 

1https://verfassungsblog.de/fur-einen-menschenrechtspakt-in-der-fluchtlingspolitik/

Frank Schöler