Verwaltung, unerreicht

 

Flüchtlinge erhalten häufig Post von der Arbeitsagentur, darin geht es z.B. um die Ankündigung von Terminen oder um Dokumente, die noch eingereicht werden müssen. Begleitet werden diese Schreiben immer von einem doppelseitig bedruckten Blatt, das dem Thema „Mitwirkungspflicht“ gewidmet ist, und minutiös auflistet, was dem Delinquenten alles blühen kann, wenn er den dort aufgeführten Verpflichtungen nicht nachkommt.

 

Einstweilen wird der Delinquent aber noch Kunde genannt, und er hat auch eine solche Nummer, die Kundennummer. Gut dass die meisten Flüchtlinge dem Wort „Kunde“ keinen Inhalt beimessen können, das wäre dann schon das erste eklatante Missverständnis in dieser Beziehung. Bereits in den 90er Jahren des vorigen Jahrhunderts war in der Wirtschaft das Phänomen der „Servicewüste“ beschrieben worden, es ging dabei um die Erkenntnis, dass Kunden sich bei ihren Lieferanten nicht bemerkbar machen können und ihre Anliegen keine Beachtung finden.

 

Ähnlich geht es auch dem Kunden Flüchtling bei der Arbeitsagentur (aber wahrscheinlich nicht nur ihm). Alles fängt ja damit an, dass dem Schreiben so gut wie keine Identität beigegeben ist, es enthält zwar in der Regel einen Namen, wobei dies nicht unbedingt der Absender sein muss, und ein Aktenzeichen. Natürlich auch eine Postanschrift. Und dann ist da noch eine E-Mail-Adresse, die so lang ist, dass man ungefähr 5 Minuten benötigt, um diese zu schreiben und um deren richtige Schreibweise zu überprüfen.

 

Manchmal, aber eigentlich nur im E-Mail-Verkehr, sind tatsächlich auch Telefondurchwahlen vermerkt. Wenn man diese benutzt, erhält man allerdings ein Besetztzeichen. Wenn man die zentrale Nummer wählt, und jemand antworten sollte, ist ein Durchstellen nicht möglich. Warum dann Durchwahlnummern verbreitet werden, weiß die gute Person an der Telefonzentrale auch nicht, sie kann jedenfalls nicht durchstellen. Sie kann aber einen Rückrufwunsch anlegen, aber nur, wenn der Anrufende eine Vollmacht für einen Flüchtling hat oder dieser neben ihm sitzt. So lautet jedenfalls die Frage, was das „Danebensitzen“ bedeuten soll, bleibt unklar. Warum man zur Platzierung eines Rückrufwunsches eine Vollmacht desjenigen benötigt, für den man anruft, weiß die Person an der Telefonzentrale auch nicht. Wahrscheinlich steckt aber eines der ehernen Prinzipien der Verwaltung dahinter, nämlich „Da könnte ja jeder kommen“.

 

Das Mitwirken wird dem „Kunden“ also nicht leicht gemacht. Auch die Benutzung der zentralen, ellenlangen Mailadresse ist nicht immer von Erfolg gekrönt. Man weiß ja nicht, wer die Nachricht bekommt, und um es herauszufinden, benötigt man vermutlich eine Vollmacht des Sachbearbeiters. So kann es also passieren, dass, wenn man einen Termin per Mail an die zentrale Adresse absagt, z.B. wegen Kollision mit einem anderen Termin, diese Nachricht nicht ankommt und man stattdessen ein äußerst amtlich formuliertes Schreiben erhält mit der Frage, warum man denn zum Termin nicht erschienen sei. Dieses Schreiben ist dann betitelt mit dem inquisitorisch anmutendem Betreff: „Anhörung zum möglichen Eintritt einer Sanktion“.

 

Im Kopf des Schreibens taucht aber immer noch die „Kunden“nummer auf. Als Außenstehender würde man nun vermuten, es könne sich um eine Sanktion für die Arbeitsagentur handeln, da sie die Terminabsage nicht zur Kenntnis genommen hat, dem ist natürlich nicht so. Die Sanktion dräut natürlich dem „Kunden“, und warum, wird im schon im 2. Absatz des Schreibens sonnenklar: „Nach bisherigem Stand sind keine Gründe erkennbar, die dies rechtfertigen“, nämlich das Fernbleiben.

 

Es soll nun der „tatsächliche Hergang“ ermittelt werden, heißt es weiter, nun in eher staatsanwaltlichem Ton. Auf eine Mitwirkungspflicht wird der „Kunde“, nun schon in der Rolle eines Angeklagten, nicht mehr ausdrücklich hingewiesen, denn die ihm vorher wohlwollend angediente Möglichkeit zur Mitwirkung hat er ja nachhaltig verwirkt. Die angedrohte Sanktion, wird beiläufig noch erwähnt, beträgt 10% vom Regelsatz und wird im Falle der Anwendung für drei Monate einbehalten. Die Rechtsbelehrung ist natürlich beigefügt, in Form eines einseitig kleinbedrucktem Beiblatts.

 

Für den „Kunden“ ergibt sich nun ein relativ klares Bild seiner Situation. Er hat es mit einer sich verschanzenden Verwaltung zu tun, die alles in ihrer Macht stehende tut, um nicht erreicht werden zu können. Auch wenn der „Kunde“ maulwurfartige Fähigkeiten besitzt, wird es ihm kaum gelingen, in die Verwaltungsfestung einzudringen. Spätestens dann, wenn ein „Kunde“ seinen Verpflichtungen trotz guten Willens nicht nachkommen konnte, wird er begreifen, dass der elementare Bestandteil des Wortes „Kundennummer“ für ihn die „Nummer‘“ ist, und nicht der „Kunde“. Auch wenn sich die „Nummer“ bisher nichts hat zu Schulden kommen lassen, immer pünktlich zu Terminen erschienen ist und alle Dokumente ordentlich und rechtzeitig eingereicht hat, schnappt die Sanktionsfalle beim ersten Fehltritt unerbittlich zu. Es ist der Verwaltung wohl auch kaum zuzumuten, einfach in interessiert wirkender Diktion mal nachzufragen, warum die „Nummer“ nicht zum Termin erschienen ist, wo sie doch bislang ein so vorbildliches Nummerndasein geführt hat.

 

Leider sind auch wir Normalmenschen nicht in der Lage, den Flüchtlingen die Logik der Verwaltung zu erklären. Und Kafka können sie ja noch nicht lesen, der konnte schon vor gut 100 Jahren anschaulich beschreiben, wie Verwaltung funktioniert, aber erklären würde er es ihnen wohl auch nicht können.

 

 

Frank Schöler