Der besorgte Bürger

Eine langenfelder Bürgerin beklagte sich bei uns schriftlich darüber, dass wir Fahrradkurse für Flüchtlingsfrauen anbieten, wo es doch in Langenfeld Menschen gäbe, die sich kein Fahrrad leisten können und erst Recht keinen kostenlosen Fahrradunterricht bekommen würden. Die Absenderin bezeichnete sich als sehr besorgte, frustrierte und erboste Langenfelderin. Das gab uns doch zu denken.

 

Zunächst ist es ja schwer nachzuvollziehen, warum unser Hilfsangebot bei einem anderen Menschen Besorgnis auslöst, und, als sei dies nicht schon schlimm genug, auch noch Frustration und Erbostheit. Schließlich schaden wir damit ja niemandem, im Gegenteil, wir leisten einen Beitrag zur Verkehrssicherheit und waren bisher der Ansicht, dass dies von Nutzen sein könnte, und zwar für alle Verkehrsteilnehmer. Im Übrigen gibt es im Sozialstaat auch keine Regelungen, welche Missstände behoben sein müssen, bevor andere Missstände in Angriff genommen werden dürfen. Es gibt keine Hierachie der Hilfsangebote.

 

Die Mitteilung der besorgten Bürgerin war auch nicht als Gesprächsangebot zu verstehen, es gab keinen Hinweis darauf, dass sie sich mit uns auseinandersetzen wolle oder für ihre Ansicht werben. Sie sprach ebenso wenig davon, dass sie selbst sich um die Behebung der fahrradlosen Zustände mittelloser langenfelder Mitbürger kümmern würde. Was treibt also eine solche Bürgerin an ?

 

Der „besorgte Bürger“ ist ja gerade in Zusammenhang mit dem Flüchtlingszustrom zu einer stark genutzten, aber wenig konkretisierten Phrase geworden. Bei Wahrnehmung dieser Phrase fühlen sich zumindest zahlreiche Politiker reflexartig zu ebenso besorgtem Bemühen um diese Bürger berufen, was bei einem Außenstehenden die Vermutung aufkommen lässt, hier handele es sich um eine Art Geheimsprache. Die Besorgnis muss auf jeden Fall umgehend zerstreut werden, auch wenn diese nicht begründet oder erklärt worden ist. Die deklarierte Besorgnis ist quasi der Freifahrtschein für das Aufstellen unbegründeter Behauptungen.

 

So ist es auch bei unserer Bürgerin, die womöglich zu der vor einigen Jahren erfundenen Spezies des „Wutbürgers“ gehört. Diesem wird auch zunächst einmal nachgesehen, dass er außer Wut wenig zur Analyse eines Problems und dessen Lösung beitragen kann,  die Wut als solche darf sich aber auf jeden Fall artikulieren. Das Problem ist nur, dass bei Fehlen von Argumenten auch keine Gegenargumente greifen können.

 

So bleibt die Kritik am Fahrradunterricht unbegründet, unser Angebot des selben löst aber, wie das Statement unserer Bürgerin ausweist, nicht nur Besorgnis, sondern auch noch Frust und Erbostheit aus. Nun wissen wir natürlich nicht, ob diese negativen Gefühlszustände ausschließlich durch das Angebot von Fahrradunterricht für Flüchtlingsfrauen ausgelöst wurden, oder ob sie schon vorher bestanden. Letzteres ist eigentlich naheliegend, denn sonst würde die ganze Geschichte doch eher dem Unlogischen verfallen und einen leicht paranoiden Einschlag bekommen.

 

Handelt es sich also hier um eine „Wutbürgerin“ oder ist es doch eher der Typus des schon immer bekannten und allgegenwärtigen Destruktiven, der einfach nur Dinge, die ihm aus irrationalen Beweggründen nicht gefallen, die irgendwelchen selbst auferlegten Dogmen widersprechen, schlicht und ergreifend ablehnen möchte und aus seinem Lebensumfeld verdammen. Hätte unsere Bürgerin, wenn wir Fahrradkurse für mittellose deutschstämmige Mitbürger angeboten hätten, in gleicher Weise Partei für die ebenfalls bedürftigen Flüchtlingsfrauen ergriffen ? Wir dürfen davon ausgehen, dass dies nicht der Fall gewesen wäre. Es geht also wohl doch eher darum, dass wir etwas anbieten, von dem Ausländer profitieren können, und das Motiv der Beschwerde dürfte demnach auch die schlichte Ausländerfeindlichkeit sein.

 

Wir wollen jede Besorgnis ernst nehmen, aber es ist sicher nicht zu viel verlangt, wenn Sorgen auch begründet werden. Bei allem Bemühen um Verständnis bleibt es bei dem besorgten Bürger doch häufig bei einem von diffusen Ängsten geplagtem Menschen, der sich von plakativen Motiven wie „Überfremdung“, „Islamisierung“ und „Obergrenzen“ paralysieren lässt. Es macht keine große Freude, den besorgten Bürger als ausländerfeindlich zu entlarven, es wäre mir lieber, wenn wir den Dialog pflegen könnten. Dafür scheint es aber wohl nicht die Zeit zu sein, zumal die „besorgten Bürger“ auf politisch wählbare Lautsprecher zugreifen können, die durch ihre Präsenz in Parlamenten eine Andeutung von Legitimität vermitteln.

 

Wir und die Teilnehmerinnen freuen uns auf den Fahrradkurs, und wir sind der Überzeugung, dass es genügend gute Argumente dafür gibt, geflüchteten Menschen den Zugang zu unserer Gesellschaft zu erleichtern. Und sei es auf dem Fahrrad.

 

Frank Schöler