Es bleibt zerrissen, was zerrissen ist

Der Familiennachzug ist offenbar zu einem schicksalhaften Thema für die Zukunft Deutschlands geworden, Koalitionsverhandlungen scheinen, wer auch immer miteinander verhandelt, eigentlich nur an diesem Thema scheitern zu können. Es ist die letzte Bastion derer innerhalb einiger etablierter Parteien, die die Hoffnung nicht aufgeben wollen, Wähler vom rechten Rand zurückgewinnen zu können.

 

Minderjährige Kinder, die nach Deutschland geflüchtet sind, haben einen Anspruch darauf, Familienangehörige nachzuholen, sofern sie die dafür notwendigen Voraussetzungen erfüllen. Diese sind im Aufenthaltsgesetz festgelegt und laufen darauf hinaus, dass der Berechtigte über eine Aufenthaltserlaubnis verfügt. Nun ist diese Möglichkeit für Flüchtlinge mit subsidiärem Schutz schon ausgesetzt und wird es wohl auch noch eine Weile bleiben. Aber auch für Jugendliche mit Flüchtlingsstatus wird es zunehmend schwerer, ihrer Familien vollständig ansichtig zu werden. Obwohl der Nachzug von Familienangehörigen umfänglich geregelt ist, versuchen die beteiligten Behörden, den Nachzug möglichst zu minimieren, d.h. praktisch auf die Eltern von minderjährigen Flüchtlingen zu beschränken.

 

Nun legt der § 36, Absatz 2 des Aufenthaltsgesetzes fest, dass auch sonstige Familienangehörige „zur Vermeidung einer außergewöhnlichen Härte“  nachziehen können. Aber was ist, in Zeiten von unter dem Vorwand politischer Räson zur Beruhigung der besorgten Bürger aufgehübschtem Rassismus, schon eine außergewöhnliche Härte. Wenn Politiker wie der intellektuelle Tieftaucher Dobrindt oder der Kompetenzverweigerer de Maizière über Flüchtlingspolitik verhandeln, weiß man schon vorher, dass nur irgendetwas zwischen Pest und Cholera dabei heraus kommen kann.  

 

Tatsache ist, dass bereits jetzt von Behörden versucht wird, den Zuzug von minderjährigen Geschwistern der berechtigten Jugendlichen zu verhindern. Das ist möglich, wenn das Zurücklassen anderer Kinder beim Unterfangen von Eltern, dass in Deutschland lebende Kind zu erreichen, nicht als eine „außergewöhnliche Härte“ betrachtet wird. Die Umsetzung des politischen Bemühens, den Nachzug zu deckeln, wird hier bereits getestet.

 

Wie werden sich denn wohl Eltern, vor diese Entscheidung gestellt, verhalten. Werden sie die Chance nutzen, ins Paradies Deutschland einzureisen, um bei Ihren geflüchteten Kindern zu sein ? Damit würden sie natürlich Wasser auf die Mühlen der Flucht-Verschwörungstheoretiker im rechten Umfeld gießen, die immer schon geargwöhnt hatten, dass die Minderjährigen ja nur vorgeschickt werden, um dem Rest der Familie das gemachte Nest im Sozialstaat zu bereiten. Entscheiden sie sich dafür, bei den übrigen Kindern im Ausland oder gar in der Kriegsregion zu bleiben, wird man dies als fehlende Notwendigkeit des Nachzugs auslegen und den Verbleib von Flüchtlingen grundsätzlich in Frage stellen.

 

Durch diese eher schlichten Winkelzüge hat man Eltern instrumentalisiert, um wichtige Elemente der Flüchtlingspolitik zu konterkarieren. Die Perfidität dieses Taktierens von Politik und Verwaltung müssen wir nicht weiter wortreich ausmalen, wir können schon lange nicht mehr so viel essen, wie wir eigentlich kotzen müssten. Wir als Vertreter der Zivilgesellschaft müssen uns vielmehr den übergeordneten Themen zuwenden, nämlich der Aushöhlung des Rechtstaats und der freiheitlich-demokratischen Grundordnung durch den Rechtsstaat karikierende Gesellen, die momentan Politik in diesem Lande machen dürfen. Nicht nur die Flüchtlingsfamilien werden zerrissen bleiben, auch die politische Kultur und die politischen Errungenschaften der Nachkriegszeit zeigen zunehmend Risse. Es ist unsere Aufgabe, uns nicht auf den Nebenschauplätzen aufreiben zu lassen, es ist unsere Aufgabe, immer wieder zu fragen: Was wollt ihr eigentlich wirklich ? Niemand kann mir ernsthaft erzählen, dass es tatsächlich nur um Flüchtlingspolitik geht. Die Aushöhlung unserer Grund- und Menschenrechte ist das Thema, das jetzt auf der Tagesordnung steht. Hier müssen wir uns empören und Flagge zeigen.

Frank Schöler