Das Jahr 2019 endet mit dem Rekord von 70 Millionen Menschen, die weltweit auf der Flucht sind. 40.000 davon verbringen ihre Zeit in der Ostägäis auf griechischen Inseln und bevölkern Lager, die eigentlich nur Kapazität für etwa 20% dieser Menschenmenge haben.
Nun hat der Grünen-Vorsitzende Robert Habeck vorgeschlagen, doch wenigstens etwas 4.000 unbegleitete Jugendliche nach Deutschland zu holen, sicherlich wissend, dass es dafür politisch keine Zustimmung geben wird.
Solche und ähnlich Vorschläge werden regelmäßig gemacht, zuletzt vor einigen Wochen durch mehrere Landesminister. Interessant ist aber zu beobachten, welche Argumente dagegen angeführt werden. Allen voran der Hinweis, dies sei ein europäisches Problem und dulde keine deutschen Alleingänge. „Wir suchen für die Zukunft nach einer europäischen Lösung“ sagt ein Sprecher der Bundesregierung. Das hören wir nun schon seit Jahren, passiert ist bisher also nichts, die Bundesregierung müsste es ja wissen.
Seit Beginn der Flüchtlingsströme in 2015 lassen wir Griechenland und auch Italien mit dem Problem allein, nehmen weder Flüchtlinge auf, die in diesen Ländern ankommen, noch finden wir Lösungen für die Versorgung vor Ort. Die Menschen verbleiben eingepfercht und unterversorgt in viel zu kleinen Lagern, und wir vernebeln mit jedem Tag des Wartens unsere Ansprüche an Humanität und Menschenwürde, Völkerrecht und Sozialstaat.
Die Flüchtlinge können erst verteilt werden, wenn deren Status anerkannt ist. Dass dauert aber nach wie vor im Durchschnitt 215 Tage in der ersten Instanz, stellt der Europäische Rechnungshof fest. Mehr Personal vor Ort könnte also ein wichtiges Problem lösen, auch das findet aber nicht statt. Die Europäische Union ist handlungsunfähig, vielleicht auch handlungsunwillig, und zudem unsolidarisch mit den am meisten betroffenen Mitgliedsstaaten. Viele gute Vorsätze für das Neue Jahr könnte z.B. Frau von der Leyen daraus fassen.
Durch die Aufnahme von Flüchtlingskindern aus den griechischen Lagern könnten „Fehlanreize geschaffen werden, die neue Migrationswellen nach Deutschland auslösen“ lässt ein Hinterbänkler der CDU-Bundestagsfraktion namens Christoph de Vries verlauten. Die Verschwörungstheorie um eine „Fluchthilfeindustrie“ hatte schon Markus Söder aufgeworfen (siehe z.B. Blogbeitrag vom 10. Juni 2018), allerdings inzwischen geläutert durch politische Rückschläge in Bayern und Rückbesinnung auf die politisch notwendige Abgrenzung zum rechtsradikalen Rand. Solche Erkenntnisse haben sich scheinbar noch nicht bis in die letzten Reihen des Bundestags herum gesprochen, oder einzelne Abgeordnete haben die Grenzen bereits überschritten.
Die Schimäre der organisierten „Sozialleistungenerschleichungsflucht“ scheint also auch diesseits von Rassismus und Rechtspopulismus Anhänger zu finden. Dabei ist die Fluchtbewegung aus der Türkei nach Griechenland durchaus staatlich legitimiert und wird seitens Erdogan offen als politisches Druckmittel eingesetzt. Durch militärische Intervention in Nordsyrien trägt die Türkei selbst dazu bei, neue Flüchtlingswellen zu erzeugen, ebenso wie die russische und syrische Luftwaffe in Nordwestsyrien.
Vieles deutet darauf hin, dass sich die Lage der Flüchtlinge auch in 2020 nicht wesentlich verbessern wird, weder die Bekämpfung der Fluchtursachen noch die Organisation der bereits Geflüchteten macht erkennbare Fortschritte. Es bleibt also nach wie vor eine Aufgabe der Zivilgesellschaft, mit Vernunft und Engagement, die Werte von Zivilisation und Rechtsstaat aufrecht zu erhalten und die Errungenschaften des Völkerrechts, die Wahrung der Menschenrechte und der Menschenwürde, zu verteidigen und mit Leben zu erfüllen. In diesem Sinne auf ein hoffnungsvolles Jahr 2020.
Frank Schöler