Integration auf „deutsch“

Der Migrationshintergrund hat es in der politischen Diskussion der letzten Wochen wieder ganz nach oben geschafft. Spätestens seit der Nacht vom 20. auf den 21. Juni, als es in Stuttgart zu Ausschreitungen von jungen Leuten in der Innenstadt kam, hat er wieder eine ganz besondere Dimension verliehen bekommen. Es gab zunächst 24 Festnahmen, davon 12 Deutsche. Das relativierte sich dann auf die Formulierung „Personen mit deutschem Pass“, aber es war klar, dass dieses Phänomen unerwünscht war und irgendwie gerade gerückt werden musste. So kam es dann zu einer Weiterbearbeitung der Vorgänge dahingehend, dass die Inhaber der deutschen Pässe auf deren Migrationshintergrund untersucht wurden, was von einer Stuttgarter Lokalzeitung „Stammbaumforschung“ genannt wurde.

 

Das Statistische Bundesamt spricht von Migrationshintergrund bei Deutschen, wenn die Person selbst oder mindestens ein Elternteil nicht mit deutscher Staatsangehörigkeit geboren wurde. Die Stadt Stuttgart hätte demnach einen Anteil an Menschen mit Migrationshintergrund von 45%, im Bundesdurchschnitt sind es ca. 25%. Welchen Hintergrund hat nun der polizeiliche Forschungsdrang in Stuttgart ?

 

Bei jugendlichen potentiellen Straftätern gilt es „die Lebens- und Familienverhältnisse“ zu beurteilen, das sind soziologische Hintergründe wie die seelische, geistige oder charakterliche Verfassung. Da ist der Migrationshintergrund als Kriterium noch nicht so eindeutig als relevant zu erkennen. Etwas präziser wird die Relevanz, wenn man eine Aussage des Stuttgarter Polizeipräsidenten Franz Lutz heran zieht, der Videoaufnahmen der Vorfälle dahin gehend analysierte, man könne dort wenig Schwäbisch hören. Das Fehlen des Schwäbischen Idioms ist also der Auslöser für die Annahme, dass es sich bei dem relevanten Personenkreis wohl nicht um Deutsche im deutschen Sinne handeln kann.

 

Der Migrationshintergrund kann somit also durchaus verhaltensrelevant sein, zumindest kann er dafür ausschlaggebend sein, dass die Personen nicht Schwäbisch sprechen und somit nicht nur nicht integriert sind, sondern womöglich auch kriminelle Veranlagungen haben, die gewaltsames Verhalten auslösen können. Warum aber dieser ganze Aufwand, was hat man von dieser Erkenntnis in einer Stadt mit 45% Migrationshintergrund ?

 

Etwas deutlicher wird die Intention, wenn man eine Mitteilung der Stuttgarter Polizei zum Vorwurf der „Stammbaumforschung“ ließt, die festschreibt, dass die Nationalität der Eltern bei „deutschen“ Tatverdächtigen geprüft werden müsse. Es gibt also „deutsche“ Tatverdächtige mit Anführungszeichen, folglich auch solche ohne. Die Polizei interessiert sich aber offenbar nur für die deutschen Tatverdächtigen mit Anführungszeichen, da man hier notwendige Präventions- und Integrationsmaßnahmen ergreifen könne. „Straftaten verhindern, bevor sie entstehen“ nennt das der „ich-kann-nichts-außer-schwäbisch“-Ministerpräsident Kretschmann und stellt sich hinter die polizeilichen Deutungsmaßnahmen.

 

Dass man sich diesen ganzen Aufwand zur Stigmatisierung von Deutschen mit Migrationshintergrund auch hätte ersparen können, bewiesen wenig später die Kollegen in Frankfurt. Bei ähnlichen Vorkommnissen auf dem dortigen Opernplatz wurden nur Personen mit eindeutigem Migrationshintergrund verhaftet. Die adrett gekleidete, blonde junge Frau, die mehrfach im Fernsehen zu beobachten war, wie sie eine Flasche auf Polizisten wirft, war offensichtlich nicht dabei.

 

Momentan haben wir eigentlich nur Argumente für Fremdenfeindlichkeit sammeln können, ob in Stuttgart oder wo auch immer noch andere Schlussfolgerungen aus der Debatte um Migrationshintergründe gezogen werden können, bleibt abzuwarten. Die Konstanzer Professorin Judith Beyer konstatiert, solange die Unterscheidung zwischen Deutschen mit und Deutschen ohne Anführungszeichen besteht, kann Integration gar nicht gelingen.

 

Bei uns in Langenfeld streben eine ganze Reihe von Menschen mit Fluchthintergrund die Erlangung einer Niederlassungserlaubnis in diesem oder im nächsten Jahr an. Viele möchten später auch die deutsche Staatsangehörigkeit erhalten. Müssen wir sie jetzt schon mit dem Gedanken vertraut machen, dass sie gar keinen deutschen Pass bekommen werden, sondern einen „deutschen“ ? Oder warten wir erst mal ab, ob sich diese Sichtweise überhaupt durchsetzen wird ? Was sind die Deutschzertifikate wert, wenn man am Ende doch den lokalen Slang nicht nachäffen kann ? Integration wird häufig mit Anpassung verwechselt, aber woran ? Es ist auf jeden Fall alle mal unverdächtiger, sich auf einem Schützenfest zu besaufen und sich zu prügeln, in Begleitung von Deutschen ohne Anführungszeichen, als dafür eigene Plätze und Anlässe auszuwählen und den Rausch mit Ecstasy Pillen zu kreieren, die im Gegensatz zum Alkohol eher wenig Integrationspotential haben.

 

Die Integrationsbemühungen werden interessanterweise immer wieder durch teils demagogische, teils rassistische, aber wie im beschriebenen Fall auch durch strukturelle Maßnahmen der Sicherheitsbehörden unterwandert. Dabei wird die Rolle der Polizei immer undurchschaubarer, insb. vor dem Hintergrund aktueller rechtsradikaler, krimineller Aktivitäten von Polizeikräften aus dem Polizeiapparat heraus. Zur Zeit leistet es sich die Politik noch, diese Tendenzen zu bagatellisieren. Das wird nicht mehr lange gut gehen.

 

Frank Schöler