Vor Wände laufen – Integration gekonnt, aber nicht gewollt

 

Zwei kürzlich veröffentlichte Studien werfen Licht und Schatten auf die Situation der Flüchtlinge in Deutschland. Zum einen das „Integratinsbarometer“ (SVR), zum anderen der „Internationale Integrationsindex“ (MIPEX) *. Letzterer kommt zu dem Ergebnis, dass Deutschland mit 58 von 100 möglichen Punkten zu den „halfway favourable countries“ gehört, also zu den eher mäßig Integrationsbegabten. Besonders schwach sieht es bei der Familienzusammenführung aus, beim Erwerb von Aufenthaltserlaubnis und Staatsbürgerschaft und bei der Erziehung. Die besten Werte europäischer Länder erreichen Schweden, Finnland und Portugal und gehören damit zu den „favourables“. Gute Werte erreicht Deutschland nur bei der Arbeitsmarktmobilität. 

  

Dabei weist das „Integrationsbarometer“ ein großes Vertrauen von Menschen mit Migrations-hintergrund in staatliche Institutionen, Politik und Demokratie aus. Gute Voraussetzungen also für Integration. Offenbar schaffen es Politik und Gesellschaft aber nicht, dieses Vertrauen zu erwidern. Gerade die schlecht bewerteten Bereiche drücken insgesamt eher Misstrauen gegenüber Zugewanderten aus. Zurückhaltung bei Familiennachzug und Aufenthalt sind Hintertüten, die es ermöglichen, die Menschen in der Warteschleife zu halten und sie ggf. auch wieder zu entfernen.

 

Die Bereitschaft des Arbeitsmarktes, Migranten aufzunehmen, deutet nach MIPEX auf eine vorübergehende Integration hin. Dies haben wir auch schon des öfteren in unseren Blogbeiträgen thematisiert. Arbeit wird als Integrationsmerkmal definiert, dessen Halbwertzeit sich allerdings an der Arbeitsmarktkonjunktur widerspiegelt. Schwächelt die Konjunktur, sinken die Integrations-möglichkeiten. Die Orientierung an der Produktivität wird zu einem quantitativen Merkmal, das Politik und Verwaltung davon entbindet, sich mit den Qualitäten der Menschen zu beschäftigen.

 

Die aktuell geltenden Regelungen zum Erwerb einer Aufenthaltserlaubnis sind folgerichtig mittels monetärer Kriterien an der Erwerbstätigkeit ausgerichtet, nicht aber an der gesamtgesellschaftlichen Prosperität. Die Bereitschaft, Staat und Demokratie zu akzeptieren, also ein nützliches Mitglied der Gesellschaft zu sein, und nicht nur der Wirtschaft, nützen den Migranten somit eher wenig. Folgerichtig bemängelt die Studie, dass den Migranten Unterstützungsmöglichkeiten bei der Orientierung in gesellschaftlichen Funktionsbereichen fehlen, etwa im Gesundheitssystem oder in Sanktions- und Reaktionssystemen, mit denen sich Migranten z.B. gegen Diskriminierung wehren können.

 

Unterm Strich bestätigt die MIPEX-Studie die Kritik, dass Deutschland sich nicht zu den Bleibe-bestrebungen der Menschen bekennt, sondern in unangemessener Weise, besonders deutlich erkennbar bei geduldeten Flüchtlingen, unverbindlich bleibt und auf Zeit spielt. Um auch die Produktivitätskomponente zu relativieren, wird diesem Personenkreis der Zugang zum Arbeitsmarkt erschwert, selbst wenn Bereitschaft und Eignung vorhanden sind. Als weiteres Hemmnis kommt hinzu, dass sich die Politik in den letzten Jahren deutlich erkennbar auch Handlungsspielraum offen hält, um auf fremdenfeindliche Strömungen reagieren zu können. Gleichzeitig erzeugt diese unentschlossene und mutlose Politik Integrationshemmnisse, die seitens der betroffenen Gruppe nicht entstehen würden, da die Integrationsbereitschaft und -fähigkeit vorhanden ist.

 

Diese Halbherzigkeit zeigt sich auch im seit März geltenden Fachkräfteeinwanderungsgesetz, das abgelehnte Asylbewerber ausdrücklich unberücksichtigt lässt. Anders bewerten dies die deutschen Unternehmen, die maßgeblich dafür verantwortlich zeichnen, dass mittlerweile die Hälfte der Geflüchteten in Deutschland sozialversicherungspflichtig beschäftigt sind oder eine Ausbildung machen. Aber auch in den Parteien verdichtet sich die Erkenntnis, dass hier Potenziale vergeudet werden, wenn die Abschiebeoption aus taktischen Erwägungen zulasten der gesellschaftlichen und ökonomischen Integration offen gehalten wird. Auch das Jahr 2021 wird uns als Vertretern der Zivilgesellschaft also ausreichend Herausforderungen bieten, wir sind bereit.

 

* Das Integrationsbarometer ist eine repräsentative Bevölkerungsumfrage unter Menschen mit und ohne Migrationshintergrund in Deutschland. Es misst das Integrationsklima in der Einwanderungsgesellschaft und erhebt Einschätzungen und Erwartungen der Bevölkerung mit Blick auf Integration und Migration sowie auf Integrations- und Migrationspolitik. Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration (SVR). Migrant Integration Policy Index (kurz MIPEX) bezeichnet einen Länderindex und die dazugehörige Studie, die die Integrationspolitik für Migranten in allen EU-Staaten und drei weiteren Nicht-EU-Staaten anhand feststehender Kriterien bewertet. Die Studie wird von 25 Organisationen, darunter der deutschen Friedrich-Ebert-Stiftung, unter Federführung des British Council, erstellt.

Frank Schöler