Wenn der Flüchtling wählen könnte

 Die Themen Migration und Integration kommen im Wahlkampf so gut wie nicht vor. Die Zuwanderung ist weitgehend herunter gefahren, auch die Situation in Afghanistan scheint so gut wie nicht zu beunruhigen, es konnten ja auch kaum Schutzbedürftige außer Landes gelangen.

 

Kaum Äußerungen der Parteien, auch in den Fernsehaussprachen der Spitzenkandidaten ist das Thema so gut wie nicht vorhanden. Haben sie den Flüchtlingen trotzdem etwas zu bieten ?

 

Armin Laschet spricht von „geordneter Zuwanderung“, für Annalena Baerbock hat der Kampf gegen Rassismus „absolute Priorität“, Olaf Scholz äußerte sich in den „Triells“ gar nicht zum Thema. Das Herunterfahren der Flüchtlingsthematik wird seit mehreren Jahren betrieben und dient eher dem Verschweigen, um dem Rechtspopulismus keine Angriffsfläche zu bieten. Das ist auch weitgehend gelungen, AfD und Verbündete sahen sich genötigt, mit Corona- und Klimawandel-Leugnern zu paktieren, um die verloren gegangene Aufmerksamkeit zurück zu gewinnen.

 

Aber was würde nun der Flüchtling in den Wahlprogrammen finden, wenn er Perspektiven für sein zukünftiges Leben in Deutschland suchen würde ? Bei der AfD natürlich nichts, hier wird z.B. vorgeschlagen, Jugendliche von Asylbewerbern in deren Muttersprache zu unterrichten, damit sie vor ihrer Abschiebung nicht unnötige Zeit mit Deutschlernen verschwenden. In Berlin plakatiert man den Slogan „Berliner Wohnungen für Berliner“ wohinter sich natürlich das alte Nazi-Theorem „Deutschland den Deutschen“ und der kategorische „Umvolkungs“-Mythos verbirgt. Die Genfer Flüchtlingskonvention möchten sie nicht mehr beachten.

 

Bei den anderen Parteien verbleiben die Themen Migration und Integration eher im unkonkreten Bereich. Konkrete Aussagen kommen eher von den Oppositionsparteien. Die Linke fordert „Armuts-, Umwelt – und Klimaflüchtlingen“ die gleichen Schutzrechte zu gewähren wie politisch Verfolgten. Die FDP möchte „Kriegs- und Bürgerkriegsflüchtlingen“ einen automatischen Schutzstatus für die Dauer der jeweiligen Kriege geben. Die Grünen wollen, dass die Kommunen auch ohne Zustimmung des Innenministeriums Flüchtlinge aufnehmen können.

 

Für die Union steht eher die Abschiebung im Vordergrund, also doch die Annäherung an den Rechtspopulisten. So will man auch ohne Zustimmung den Bundesrates sog. „sichere“ Herkunftsländer deklarieren und dorthin auch abschieben dürfen.

 

Das Thema Flucht hat nicht mehr den Stellenwert wie bei der Wahl 2017, da die Zuwanderung aus Fluchtgründen in 2019 und 2020 nur 10% der gesamten Einwanderung nach Deutschland ausmachte. Das ist aber bei der Bevölkerung noch nicht angekommen, Flucht und Migration wird weitgehend gleichgesetzt, wenngleich das Thema laut Politbarometer etwas abgeschwächt hinter den drängenderen Themen Pandemie und Klima rangiert.

 

Dennoch finden sich bei dem Thema durchaus interessante Allianzen im Parteienspektrum. So wollen Grüne, Linke und FDP Möglichkeiten der legalen Einreise ausweiten und Menschenrechtsverletzungen an den EU-Außengrenzen beenden. Des weiteren sollen Sprach- und Integrationskurse für alle Zugewanderten kostenlos angeboten und Einbürgerungen erleichtert werden.

 

Grüne und FDP wollen die Zuwanderung von Fachkräften forcieren und die Aufnahme von Asylsuchenden in die Arbeitsmigration erleichtern. Die Themen Diskriminierung und Teilhabe finden sich etwas verstärkt in den Wahlprogrammen wieder, so fordern Linke, SPD und Grüne ein Partizipationsgesetz, was offenbar dazu geeignet sein soll, misslungene Integration aufgrund gesellschaftlicher Ausgrenzung und strukturellem Rassismus zu bekämpfen. Zumindest ein pragmatischer Ansatz, da uns dieses Phänomen in der alltäglichen Flüchtlingshilfearbeit permanent begegnet.

 

Die Wahlempfehlung, wenn der Flüchtling denn nun wählen dürfte, fällt trotzdem schwer. Der Alltag von geflüchteten Menschen mit deren alltäglichen Problemen ist scheinbar bei den Parteien nicht angekommen oder wird ignoriert. Für die hier inzwischen seit gut sechs Jahren lebenden Geflüchteten haben die Parteien jedenfalls kaum Perspektiven zu bieten, also haben wir mit dem immer wieder zitierten „weiter so“ zu rechnen.

 

(Quellen: Universität Duisburg-Essen, Prof. Andreas Blätte; Universität Osnabrück, Institut für Migrationsforschung und Interkulturelle Studien, Vera Hanewinkel)

Frank Schöler