Wieder ganz unten angekommen

 

Die Willkommenskultur ist endgültig passé, damit müssen wir uns wohl abfinden. Eine seit einigen Tagen in Deutschland befindliche Familie aus Afghanistan steht völlig mittellos in Sandalen und Sommerkleidung in einer Flüchtlingsunterkunft. Der Vater überreicht einen „Wunschzettel“ und bittet um vier Löffel, Teller, ein Messer und einen Topf für Speisenzubereitung, Geld habe man sich bei Mitbewohnern geliehen und einige Nahrungsmittel eingekauft. Diese Szene spielt sich tatsächlich in einer Flüchtlingsunterkunft mitten in Deutschland ab, nicht etwa an der polnisch-belarussischen Grenze.

 

Was ist passiert in diesem unserem Lande in den letzten fünf Jahren ? Die Flüchtlingsthematik ist zu einem unerwünschten Zustand geworden, jeder, der in den Verwaltungswegen Verantwortung trägt, möchte diese so schnell wie möglich los werden. Die eigentliche Bedeutung von Asyl und Flucht vor Kriegen ist durch politische Relativierungen und Taktiererei längst verwaschen und teilweise gänzlich unkenntlich geworden. Menschlichkeit und Menschenwürde müssen permanent in Erinnerung gerufen werden, obwohl sie eigentlich zu den tragenden Säulen unserer Verfassung und unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung gehören.

 

Die Erstaufnahmeeinrichtung stempelt zwar die Aufenthaltspapiere der Familie ab, Afghanistan ist ja nun wieder politisch als fluchttaugliche Region in Erscheinung getreten. Der Familienvater ist ein intellektueller Künstler, die Taliban werden damit nicht viel anfangen können, deshalb darf er als gefährdete Person einreisen. Aber damit hat sich die Fürsorge dann auch erledigt, man schickt vier Personen in Sandalen und luftiger Kleidung bei 5°C auf die Reise in die nächste Unterkunft. Herzlich willkommen.

 

Dort angekommen bekommt man zwar Zimmer zugewiesen mit Bett, Schrank, Tisch und Stuhl, aber sonst nichts. Lediglich die Abrechnung für den Wohnraum liegt auf dem Tisch, 296,28 € wird die Familie zukünftig zu entrichten haben, zahlt natürlich das Jobcenter, wenn es denn irgendwann mal die Anträge bekommt. Herzlich willkommen.

 

Inzwischen sitzt die Familie ohne Geld und Haushaltsgerätschaft in seinem Zimmer, wenigstens die Heizung funktioniert. Nun kommt der Wunschzettel ins Spiel und ist beredtes Dokument der Hilflosigkeit Hilfsbedürftiger und der Tatenlosigkeit der Schutzgebenden. Auch hier leuchtet wieder wie der Weihnachtsstern die Hoffnung, die Bittsteller möglichst schnell wieder in die Obhut einer anderen Verwaltung übergeben zu können, eigentlich ist für die Anerkannten ja das Jobcenter zuständig. Herzlich willkommen im Verwaltungsdschungel.

 

Ein Phänomen, das wir schon seit Langem beobachten, ist die Untätigkeit in den Verwaltung, übrigens kein Corona-Phänomen, sondern schon vorher vielfach zu identifizieren. Wir müssen uns alle davor hüten, die polnisch-belarussische Grenze in unsere Köpfe zu lassen, sonst geht das letzte Bisschen Menschlichkeit auch noch flöten. Irgendwann wollen wir mal wieder ein „Herzlich willkommen“ mit Überzeugung hören.

 

Frank Schöler