Die Bezahlkarte wirkte zunächst wie ein weiteres Element des in der Politik inzwischen weit verbreiteten Flüchtlings-Bashing. Für das vordergründige Argument, man wolle Flüchtlinge darin hindern, Geld in die Heimatländer zu transferieren, gab es keine Belege. Im Gegenteil, führende Institute konnten eher die Haltlosigkeit dieser Begründung belegen (vgl. Blogbeitrag „Migrationspolitik faktenfrei“ vom 25. Oktober 2023), fanden aber in der inzwischen weitgehend sinnfrei geführten Diskussion keinerlei Widerhall.
Inzwischen haben sich eigentlich alle Parteien mehr oder weniger vollständig mit dem Konzept der Bezahlkarte arrangiert. Im aktuellen Wahlkampf in Sachsen ist dies jedenfalls zu beobachten. Laut ZDF-Politbarometer ist Migration das dominierende Thema. (vgl. hierzu und alle folgenden Zitate:
Große Hoffnungen setzt dabei besonders die sächsische CDU in die Bezahlkarte, auch um Handlungsfähigkeit zu demonstrieren.
Wesentlicher Bestandteil des Kartenkonzepts ist die Deckelung der Bargeldverfügbarkeit auf 50 €. In der Praxis würde dies eine deutliche Verschlechterung der Konsummöglichkeiten der Leistungsempfänger bedeuten. Während sich gerade die Bezieher von Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz, das deutlich weniger ausschüttet als das Bürgergeld, gerne in Second-Hand Läden, Tafeln, Flohmärkten oder Sozialkaufhäusern versorgen, würde die Bezahlkarte diese Möglichkeiten der ökonomisch effizienten Versorgung stark einschränken. Alle diese Bezugsquellen verlangen Bargeld als Bezahlung.
Und damit sind wir beim eigentlichen politischen Motiv der Bezahlkarte, nämlich das Leben der Flüchtlinge zu erschweren und deren Würde zu diskreditieren. Aber, „man kann Migrationsströme [mit der Bezahlkarte] nicht steuern", sagt der Vorsitzende des Sachverständigenrats für Integration und Migration, Hans Vorländer. Menschen würden in ein Land kommen, weil sie dort Sicherheit, Arbeitsplätze und andere Menschen aus ihrer Region erwarten. Sozialleistungen seien nur ein Faktor unter anderen, so der Politikwissenschaftler. (ZDFheute)
Eine Entlastung der Verwaltung ist durch das Konzept einer Bezahlkarte eindeutig zu erwarten, aber das würde auch ohne Deckelung der Bargeldverfügbarkeit so sein. Darauf deuten die ersten praktischen Versuche z.B. in Sachsen oder Bayern hin. Aber inzwischen haben sich auch Gerichte mit der Bezahlkarte beschäftigt und insb. die Deckelung der Bargeldverfügbarkeit als rechtwidrig eingeschätzt.
Rechtsanwalt und Sozialrechtler Volker Gerloff aus Berlin, mit dem unser Verein eng zusammen arbeitet, hat vor dem Sozialgericht Nürnberg Ende Juli bereits eine Entscheidung gegen die Bezahlkarte erstritten. Die pauschale Begrenzung des Bargeldbetrags auf 50 Euro sei unzulässig, urteilten die Richter und entschieden, dass der Bargeldbedarf eines jeden Asylbewerbers einzeln geprüft werden müsse. Inzwischen gibt es ein ähnlich lautendes Urteil aus Hamburg, weitere Klagen sind anhängig.
Für Volker Gerloff steht die Bezahlkarte damit "vor dem Aus". Aus seiner Sicht seien diese Prüfungen "praktisch überhaupt nicht umsetzbar" und deshalb sei auch die Karte "so nicht haltbar". (ZDFheute)
Die politischen Parteien verfolgen das populistische Konzept jedoch weiter, was einen erschütternden Einblick in deren Verfassungstreue vermittelt. In geradezu realitätsverweigernder Weise wird weiterhin gegen die Menschenwürde geflüchteter Menschen gehandelt, wobei die Menschenwürde das höchste Gut unserer freiheitlich demokratischen Rechtsordnung darstellt. Ebenfalls realitätsfern ist nach wie vor die Hoffnung der etablierten Parteien, durch möglichst rigorose Flüchtlingspolitik Wähler von der AfD zurück gewinnen zu können. Das Aufspringen auf den rechtspopulistischen Zug hat bisher keine Erfolge gebracht. Es scheint aber inzwischen auch zu spät, vom Zug in eine längst überwunden geglaubte Vergangenheit wieder abzuspringen zu können.
Es bleibt also bis auf weiteres die Aufgabe der Zivilgesellschaft, Verfassung und Menschenrechte zu verteidigen.
Frank Schöler